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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 24.04.2009
Aktenzeichen: 16 B 485/09
Rechtsgebiete: GG, VO (EG, Euratom) Nr. 1605/2002, VO (EG) Nr. 1290/2005, VO (EG) Nr. 259/2008, AFIG
Vorschriften:
GG Art. 1 Abs. 1 | |
GG Art. 2 Abs. 1 | |
GG Art. 100 Abs. 1 | |
VO (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 Art. 53b Abs. 2 Satz 2 Buchstabe d | |
VO (EG) Nr. 1290/2005 Art. 44a | |
VO (EG) Nr. 259/2008 | |
AFIG § 2 Abs. 2 | |
AFIG § 3 Abs. 1 Nr. 4 |
Die in Rede stehenden Informationen weisen keine hohe Persönlichkeitsrelevanz auf. Sie stehen nicht dem Kernbereich der persönlichen Lebensführung nahe. Weder die Höhe noch die Art der gewährten Agrarsubventionen lassen einen Schluss auf die insgesamt gegebene Einkommenssituation des Empfängers zu. Mit der Veröffentlichung ist auch keine Prangerwirkung verbunden.
Dem Ziel, auf europäischer Ebene demokratische Beteiligungsrechte der Bürger durch Transparenz zu stärken, kommt besondere Bedeutung zu. Es würde wesentlich beeinträchtigt, wenn die Veröffentlichung vorläufig ausgesetzt würde.
Tatbestand:
Der Antragsteller ist Landwirt und erhält für seinen Betrieb Agrarbeihilfen der Europäischen Gemeinschaft. Er wendet sich unter Berufung auf sein Recht auf Datenschutz gegen die Veröffentlichung seines Namens, seines Wohnorts und der Höhe der ihm gewährten Subventionen auf einer speziell zu diesem Zweck eingerichteten Internetseite der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Das VG lehnte einen Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die hiergegen erhobene Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Gründe:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller konkludent in die Veröffentlichung seiner personenbezogenen Daten im Internet eingewilligt hat, als er Agrarsubventionen beantragt hat. Eine solche Veröffentlichung ist nach Art. 53b Abs. 2 Satz 2 Buchstabe d Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates vom 25.6.2002, Art. 44a Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 des Rates vom 21.6.2005, der hierzu erlassenen Durchführungsverordnung (EG) Nr. 259/2008 der Kommission vom 18.3.2008, des Agrar- und Fischereifonds-Informationengesetzes vom 26.11.2008 (AFIG) und der Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Verordnung vom 10.12.2008 vorgesehen.
Der Senat bezweifelt bereits, ob der Antragsteller dadurch in die Veröffentlichung seiner Daten eingewilligt hat, dass er vorbehaltlos die Kenntnisnahme der Veröffentlichungsabsicht erklärt hat.
Eine solche Einwilligung verneinen auch VG Münster, Beschluss vom 21.4.2009 - 1 L 156/09 -, und Schl.-Holst. VG, Beschlüsse vom 22.4.2009 - 1 B 6/09, 1 B 7/09 und 1 B 8/09 -.
Der Senat verneint eine Einwilligung jedenfalls, weil der Subventionsantrag gestellt wurde, als Einzelheiten der Veröffentlichung noch nicht geregelt waren. Der Antragsteller hat unwidersprochen vorgetragen, die Agrarsubventionen vor dem 15.5.2007 beantragt zu haben. Die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 259/2008 der Kommission datiert vom 18.3.2008, das Agrar- und Fischereifonds-Informationengesetz vom 26.11.2008 und die Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Verordnung vom 10.12.2008.
Bei summarischer Prüfung kann ebenso wenig festgestellt werden, dass der Antragsteller sein Recht, sich gegen die Veröffentlichung zu wehren, zwischenzeitlich verwirkt hat. Zwar hat er nach Bekanntmachung der EU-Durchführungsverordnung und der nationalen Regelungen nicht sofort Einwendungen gegen die Veröffentlichung der ihn betreffenden Daten erhoben. Er hat aber unverzüglich nach Bekanntwerden des Vorlagebeschlusses des VG Wiesbaden vom 16.2.2009 - 6 K 1045/08.WI - den Antragsgegner aufgefordert, von einer Veröffentlichung seiner Daten Abstand zu nehmen. Diese Entscheidung des VG Wiesbaden durfte der Antragsteller abwarten. Sie leistet - soweit ersichtlich - die erste grundsätzliche Auseinandersetzung mit Fragen der Gültigkeit des einschlägigen EU-Rechts.
Gleichwohl ist kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die vom Senat vorzunehmende Interessenabwägung fällt zulasten des Antragstellers aus. Einer Interessenabwägung bedarf es, weil die dem Senat zur Verfügung stehende Zeit mit Blick auf die für Ende April 2009 vorgeschriebene Veröffentlichung der dem Antragsteller gewährten Agrarsubventionen nicht ausreicht, um eine Prüfung der Erfolgsaussichten des Begehrens des Antragstellers in der Hauptsache zu einem vertretbaren Abschluss zu bringen.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.10.1994 - 7 VR 10.94 -, NVwZ 1995, 379, OVG NRW, Beschluss vom 12.9.1963 - IV B 420/63 -, OVGE 19, 81 (84), Happ, in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. (2006), § 123 Rdnr. 50, a. A. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, 14. Aufl. (2004), § 123 Rdnr. 17.
Im Rahmen dieser Interessenabwägung prüft der Senat das gesamte Vorbringen des Antragstellers im gerichtlichen Verfahren, wenn der Antragsteller - wie hier - mit seinem Beschwerdevorbringen die vom VG für die Verneinung eines Anordnungsanspruchs angeführten Gründe erfolgreich in Frage gestellt hat.
Vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab im Beschwerdeverfahren OVG NRW, Beschlüsse vom 18.3.2002 - 7 B 315/02 -, NVwZ 2002, 1390, und vom 8.5.2002 - 1 B 241/02 -, NVwZ-RR 2003, 50.
Weder mit seinen Zweifeln an der Gültigkeit noch in Bezug auf die Auslegung der europarechtlichen Vorschriften hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Senat als Instanzgericht nur dann befugt, die Anwendung europarechtlicher Vorschriften in Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einstweilen auszusetzen, wenn er erhebliche Zweifel an der Gültigkeit dieser Vorschriften hat. Dasselbe gilt, wenn er zwar nicht die Gültigkeit bezweifelt, aber keine Überzeugung von der richtigen Auslegung der Vorschriften gewonnen hat.
Vgl. EuGH, Urteil vom 9.11.1995 - C-465/93 -, Slg. 1995, I-3761, Rdnr. 35 ff.; Bay. VGH, Beschluss vom 3.9.2004 - 19 CE 04.1973 -, BayVBl 2005, 280 (281), jeweils auch zu den weiteren Voraussetzungen für eine vorläufige Nichtanwendung von Europarecht.
Der Senat, der dieser Rechtsprechung folgt, kann sich den erheblichen Zweifeln, die das VG Wiesbaden im Verfahren 6 K 1045/08.WI zur Vorlage an den EuGH bewogen haben, nicht anschließen. Der Senat kommt bei der allein möglichen summarischen Prüfung auch nicht zu der Überzeugung, Auslegungszweifel könnten es gebieten, die Vorschriften einstweilen nicht anzuwenden. Anders als offenbar vom VG Wiesbaden gesehen, ist das Bemühen um Transparenz hier nicht nur Selbstzweck, sondern dient zumindest auch einer Stärkung der demokratischen Beteiligungsrechte der Bürger (dazu unten). Vor diesem Hintergrund wird zu prüfen sein, ob die personenscharfe Veröffentlichung von Agrarsubventionen nicht so gewichtige Vorteile gegenüber einer Mitteilung nur an die Kontrollorgane oder einer Veröffentlichung von Gesamtbeträgen bietet, dass sie mit Blick hierauf auch unter Berücksichtigung der Interessen der Betroffenen gerechtfertigt ist. Über die Bedeutung solcher Informationen für die Meinungsbildung interessierter Bürger hinaus werden dabei auch Möglichkeiten und Vorteile einer neben die behördliche Kontrolle der ordnungsgemäßen Mittelverwendung tretenden Kontrolle durch die Öffentlichkeit zu gewichten sein. Soweit das VG Wiesbaden die Ungültigkeit der Verordnung (EG) Nr. 259/2008 daraus herleitet, dass der Zugriff auf die zur Veröffentlichung der Subventionszahlungen benutzte Internetseite nicht auf IP-Adressen aus der EU beschränkt wird, wird zu prüfen sein, ob derartige Zugriffsbeschränkungen der nach Art. 2 und Art. 5 der Richtlinie den Mitgliedstaaten obliegenden Ausgestaltung der Internetseiten nach den europäischen Vorgaben unterfallen. Schließlich wird im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen sein, dass der Antragsteller im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur Verletzungen in eigenen Rechten geltend machen kann. Angesichts dessen erscheint zweifelhaft, ob er sich auf die vom VG Wiesbaden gerügte fehlende Eignung der Internetseite zur Information der Bürger und eine eventuelle Rechtswidrigkeit der Speicherung der IP-Adressen der Personen, die diese Seite aufrufen, berufen kann.
Die Vorschriften über die Veröffentlichung von Agrarsubventionen im Internet sind auch nicht deshalb vorläufig nicht anzuwenden, weil Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz bestünden.
Dies gilt zunächst für die EU-Verordnungen. Als Gemeinschaftsrecht sind sie einer Prüfung am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes entzogen, solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des EuGH, einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleichzuachten ist und insbesondere den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt. Etwas anderes gilt nur, wenn im Einzelfall dargelegt wird, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des EuGH unter den erforderlichen Grundrechtsschutz abgesunken ist.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.6.2004
- 1 BvR 1270/04 -, NVwZ 2004, 1346, m. w. N., grundlegend BVerfG, Beschluss vom 22.10.1986
- 2 BvR 197/83 -, BVerfGE 73, 339.
Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass der Grundrechtsschutz, den ihm das Gemeinschaftsrecht bietet, hinter dem des Grundgesetzes zurückbliebe. Im Gegenteil beruft er sich ausdrücklich auf das europarechtlich gewährleistete Grundrecht auf Datenschutz.
Auch das Agrar- und Fischereifonds-Informationengesetz und die Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Verordnung sind nicht wegen Verstoßes gegen Grundrechte des Grundgesetzes vorläufig nicht anzuwenden. Soweit der nationale Gesetzgeber durch diese Vorschriften zwingende Vorgaben des Gemeinschaftsrechts umgesetzt hat, sind sie - wie sekundäres Gemeinschaftsrecht - grundsätzlich nicht am Maßstab der deutschen Grundrechte zu prüfen. Vielmehr unterliegen sie dem auf Gemeinschaftsebene gewährleisteten Grundrechtsschutz.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.7.2004 - 1 BvR 1270/04 -, NVwZ 2004, 1346.
Dass ausgehend von diesen Grundsätzen ausnahmsweise eine Prüfung der Grundrechte des Grundgesetzes zu erfolgen hätte, hat der Antragsteller nicht dargelegt.
An den Grundrechten des Grundgesetzes sind jedoch die Vorschriften des Agrar- und Fischereifonds-Informationengesetzes und der Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Verordnung zu messen, die regeln, wie die nach Art. 1 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 259/2008 der Öffentlichkeit zugänglich zu machenden Informationen auf der deutschen Internetseite veröffentlicht werden. Diese Einzelheiten festzulegen, ist nach Art. 2 und Art. 5 Verordnung (EG) Nr. 259/2008 Aufgabe der Mitgliedstaaten. Dem nationalen Gesetzgeber stand insoweit bei der Umsetzung der EU-Verordnungen Spielraum zu. Bei der Wahrnehmung dieser ihm europarechtlich zustehenden Gestaltungsmöglichkeiten ist der nationale Gesetzgeber in vollem Umfang an die Vorgaben des Grundgesetzes und insbesondere an die Grundrechte gebunden.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.7.2004 - 1 BvR 1270/04 -, NVwZ 2004, 1346.
Dies führt jedoch nicht dazu, dass die entsprechenden Vorschriften des Agrar- und Fischereifonds-Informationengesetzes und der hierzu ergangenen Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Verordnung vorläufig nicht anzuwenden wären. Allerdings sind die Fachgerichte auch in Bezug auf ein formelles Gesetz durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des BVerfG auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung nicht vorweggenommen wird.
BVerfG, Beschluss vom 24.6.1992 - 1 BvR 1028/91 -, BVerfGE 86, 382.
Ein solches Vorgehen ist bei formellen Gesetzen jedoch nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG möglich. Erforderlich ist mithin, dass das erkennende Gericht von der Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Vorschriften überzeugt ist. Unter derselben Voraussetzung sind die Fachgerichte befugt, untergesetzliche Rechtsvorschriften selbst zu verwerfen. Eine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit kann der Senat im vorliegenden Eilverfahren weder im Hinblick auf das Agrar- und Fischereifonds-Informationengesetz noch im Hinblick auf die Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Verordnung gewinnen. Bedenken könnten sich insoweit allenfalls deshalb ergeben, weil nicht vorgesehen ist, den Zugriff auf die der Veröffentlichung von Subventionszahlungen dienende Internetseite auf IP-Adressen aus der EU zu begrenzen. Dies könnte einen unverhältnismäßigen Eingriff in das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Subventionsempfänger darstellen. Dass die Verwendung einer weltweit abrufbaren Internetseite deshalb nicht erforderlich ist, weil die Verwendung einer nur aus der EU einsehbaren Internetseite nicht nur für die Betroffenen weniger belastend und zur Erreichung der mit der Veröffentlichung verfolgten Ziele in gleicher Weise geeignet, sondern auch mit zumutbarem Aufwand technisch umsetzbar wäre, kann derzeit nicht festgestellt werden. Ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, von der grundsätzlich gegebenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, den Zugriff auf europäische IP-Adressen zu begrenzen, hängt maßgeblich von dem mit einer Begrenzung verbundenen technischen Aufwand ab. Dieser lässt sich derzeit nicht verlässlich abschätzen und bedarf einer Aufklärung im Hauptsacheverfahren. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass durch solche Maßnahmen weder erhebliche personelle Ressourcen gebunden würden, noch größere finanzielle Aufwendungen - etwa für die Beschaffung von Hard- oder Software - anfielen.
Auch im Übrigen ist der Ausgang eines Hauptsacheverfahrens offen. Ob die die Veröffentlichung der gewährten Agrarsubventionen regelnden Vorschriften des europäischen und deutschen Rechts ordnungsgemäß angewandt wurden, lässt sich derzeit nicht beurteilen. Die sich insoweit stellenden komplexen tatsächlichen und rechtlichen Fragen können in der bis zur Veröffentlichung verbleibenden Zeit nicht abschließend beurteilt werden. Zunächst spricht viel dafür, dass eine Berufung auf datenschutzrechtliche Grundsätze nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil ein Subventionsverhältnis betroffen ist. Jedenfalls mit Blick auf Agrarsubventionen, die für landwirtschaftliche Betriebe von existenzieller Bedeutung sind, dürfte es staatlichen Stellen verwehrt sein, sich durch entsprechende Ausgestaltung der Subventionsbedingungen und Antragsunterlagen Befugnisse zu verschaffen, die ihnen nach allgemeinem Datenschutzrecht nicht zustehen. In tatsächlicher Hinsicht ist derzeit offen, ob der Antragsteller im Vorfeld der Veröffentlichung entsprechend den europarechtlichen Vorgaben informiert wurde. Nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 Verordnung (EG) Nr. 259/2008 waren die Empfänger von Fondsmitteln mindestens vier Wochen im Voraus über die Veröffentlichung der Daten über die in den Haushaltsjahren 2007 und 2008 erhaltenen Zahlungen zu informieren. Nach Art. 4 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 259/2008 sind die Empfänger insbesondere auf ihre Rechte als betroffene Personen im Sinne der Richtlinie 95/46/EG und auf die Verfahren für die Ausübung dieser Rechte hinzuweisen. Ob der Antragsteller dahingehend aufgeklärt wurde, lässt sich den dem Senat vorliegenden Unterlagen nicht entnehmen. In rechtlicher Hinsicht kann im vorliegenden Eilverfahren insbesondere nicht abschließend entschieden werden, welche datenschutzrechtlichen Vorschriften bei der Veröffentlichung zu beachten sind. § 2 Abs. 2 und § 3 Abs. 1 Nr. 4 AFIG deuten darauf hin, dass neben den europäischen Datenschutzvorschriften (insbesondere der Richtlinie 95/46/EG) auch deutsches Datenschutzrecht anwendbar ist. Ob die europarechtlichen Vorschriften überhaupt Raum für eine ergänzende Anwendung nationaler Datenschutzgesetze lassen und welche bundes- und/oder landesrechtlichen Normen gegebenenfalls bei der Veröffentlichung von Subventionszahlungen zu beachten sind, kann in der Kürze der Zeit nicht entschieden werden.
Die aufgrund der nicht zeitgerecht aufzulösenden tatsächlichen und rechtlichen Unklarheiten vom Senat ausnahmsweise auch im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zulasten des Antragstellers aus. Dem Antragsteller droht durch die Veröffentlichung der ihm gewährten Agrarsubventionen im Internet kein schwerer, nicht wiedergutzumachender Schaden, der den vorläufigen Verzicht auf die Veröffentlichung rechtfertigen könnte.
Allerdings greift die Veröffentlichung in das Recht des Antragstellers auf Schutz seiner personenbezogenen Daten ein. Dieses Recht wird europarechtlich aus dem Schutz des Privatlebens hergeleitet.
Vgl. EuGH, Urteile vom 29.1.2008 - C-275/06 -, www.curia.europa.eu Rdnr. 63, und vom 6.11.2003 - C-101/01 -, www.curia.europa.eu Rdnr. 86 ff.
Nach deutschem Verfassungsrecht ist das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Es schützt den Einzelnen unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten und gewährleistet dessen Befugnis, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.
Vgl. BVerfG, Urteil vom 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 u. a. -, BVerfGE 65, 1, Urteil vom 2.3.2006 - 2 BvR 2099/04 -, BVerfGE 115, 166, Beschluss vom 23.2.2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl. 2007, 497.
Die Veröffentlichung stellt einen Eingriff in dieses Recht dar. Persönliche Daten des Antragstellers, nämlich sein Name, sein Wohnort (einschließlich Postleitzahl) sowie Art und Höhe der ihm gewährten Agrarsubventionen, werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Der Schutz personenbezogener Daten ist jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Als sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit muss der Einzelne Einschränkungen dieses Rechts im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Solche Einschränkungen müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
Zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung vgl. BVerfG, Urteile vom 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 u. a. -, BVerfGE 65, 1, und vom 2.3.2006 - 2 BvR 2099/04 -, BVerfGE 115, 166.
Zu Einschränkungen des europarechtlichen Schutzes auf Privatsphäre vgl. EuGH, Urteile vom 29.1.2008 - C-275/06 -, www.curia.europa.eu Rdnr. 68, und vom 6.11.2003 - C-101/01 -, www.curia.europa.eu Rdnr. 86 ff.
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist bedeutsam, ob der Betroffene einen ihm zurechenbaren Anlass für die Erhebung der Informationen geschaffen hat. Maßgeblich zu berücksichtigen ist, welche Persönlichkeitsrelevanz die Informationen aufweisen, die Gegenstand der hoheitlichen Maßnahme sind.
Vgl. BVerfG, Urteil vom 11.3.2008 - 1 BvR 2074/05 u. a. -, BVerfGE 120, 378, Beschluss vom 23.2.2007 - 1 BvR 2368/06 -, DVBl. 2007, 497, m. w. N.
Gemessen hieran stellt die Veröffentlichung der Agrarsubventionen eine niedrigschwellige Einschränkung dar. Der Antragsteller hat für die Erhebung dieser Daten einen ihm zurechenbaren Anlass gesetzt, indem er Agrarsubventionen beantragt hat. Die in Rede stehenden Informationen weisen keine hohe Persönlichkeitsrelevanz auf, weil sie nicht dem Kernbereich persönlicher Lebensführung nahe stehen. Die Subventionen, die der Antragsteller erhalten hat, gehören zu seinem Einkommen. Die deutsche Rechtsordnung räumt Einkommensdaten traditionell weitgehenden Schutz ein. Weder die Höhe noch die Art der dem Antragsteller gewährten Agrarsubventionen lassen jedoch einen Schluss auf dessen insgesamt gegebene Einkommenssituation zu. Ob und in welcher Höhe ein landwirtschaftlicher Betrieb Überschüsse erwirtschaftet, hängt nicht allein von den ihm gewährten Subventionen ab. Die insoweit maßgeblichen weiteren Einnahmen (insbesondere aus dem Verkauf der erzeugten Agrarprodukte) sowie die Betriebsausgaben werden nicht veröffentlicht. Die Höhe der gezahlten Subventionen lässt hierauf auch keine Rückschlüsse zu. Hohe Subventionen deuten weder auf eine besondere Bedürftigkeit des Empfängers noch auf einen hohen Überschuss des Betriebs hin. Die Höhe der Zahlungen hängt vielmehr maßgeblich von der bewirtschafteten Fläche ab. Dass es im Fall des Antragstellers anders liegen könnte, hat dieser nicht glaubhaft gemacht.
Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist mit der beabsichtigten Veröffentlichung keine Prangerwirkung verbunden. Durch zahlreiche Berichte in den Medien ist bekannt, dass Agrarsubventionen gewährt werden, um eine Vielzahl gewichtiger öffentlicher Interessen zu verfolgen. Wer solche Berichte nicht kennt, wird durch die Internetseite, die für die Veröffentlichung vorgesehen ist, aufgeklärt. Dort wird zum Hintergrund der Subventionierung ausgeführt:
"Die Agrarpolitik ist einer der wenigen Politikbereiche, die seit den Anfängen des Europäischen Einigungsprozesses weitgehend auf EU-Ebene geregelt und finanziert wird.
Die Land-, aber auch die Forstwirtschaft erbringen neben der Erzeugung von gesunden und vielfältigen Lebensmitteln und der Produktion und Verwertung von nachwachsenden Rohstoffen eine Vielzahl von Leistungen für die Gesellschaft und übernehmen als hauptsächliche Landnutzer eine besondere Verantwortung für Natur und Umwelt. Sie bewirtschaften und pflegen einen Großteil der Landesfläche, erhalten die Infrastruktur im ländlichen Raum und prägen das soziale Gefüge in den Dörfern.
Landwirte und Waldbewirtschafter gewährleisten
- eine nachhaltige und ressourcenschonende Bewirtschaftung von ca. 80 % -der Staatsfläche,
- die sichere Versorgung der Bevölkerung mit gesunden und qualitativ hochwertigen Lebensmitteln,
- eine flächendeckende Erhaltung, Pflege und Gestaltung der Kultur-, Natur- und Erholungslandschaften,
- die Erzeugung nachwachsender Rohstoffe und die Bereitstellung erneuerbarer Energien, insbesondere aus Biomasse,
- den Erhalt der Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion der Wälder,
- den Erhalt der biologischen Vielfalt und
- die Sicherung von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung in der Land- und Forstwirtschaft, aber auch in den ihr vor- und nachgelagerten Bereichen.
Diese vielfältigen Leistungen können insbesondere mit Unterstützung aus öffentlichen Mitteln erbracht werden. Durch regelmäßige und risikoorientierte Kontrollen stellen Bund und Länder sicher, dass entsprechende Gegenleistungen für die öffentlichen Mittel erbracht werden."
(http://www.agrar-fischerei-zahlungen.de/agrar_foerderung.html).
Diese niedrigschwellige Einschränkung hat der Antragsteller hinzunehmen, weil ihr überwiegende öffentliche Interessen gegenüberstehen. Der Antragsteller hat ein Interesse, vorläufig von einer Veröffentlichung verschont zu bleiben, weil die Veröffentlichung, wenn die Daten einmal ins Internet eingestellt wurden, nicht wieder rückgängig gemacht werden kann. Wer diese Informationen abgerufen hat, kennt sie auch dann noch, wenn sie wieder von der amtlichen Internetseite entfernt werden. Es ist zudem nicht auszuschließen, dass sie trotz einer solchen Löschung noch an anderer Stelle im Internet verfügbar bleiben. Zwar sind technische Vorkehrungen getroffen, die verhindern sollen, dass die Daten mit Hilfe von Suchmaschinen gefunden werden können. Ein Kopieren sämtlicher auf der amtlichen Internetseite veröffentlichter Daten ist dadurch erschwert, dass maximal 500 Treffer angezeigt werden. Trotzdem erscheint denkbar, dass jemand sämtliche oder zumindest die den Antragsteller betreffenden Daten an anderer Stelle im Internet veröffentlicht.
Gegenüber diesem Interesse des Antragstellers ist jedoch das öffentliche Interesse an einer Veröffentlichung zum vorgesehenen Zeitpunkt vorrangig. Durch die Veröffentlichung der Subventionszahlungen soll die Transparenz der Verwendung der Gemeinschaftsmittel erhöht werden.
Vgl. 6. Erwägungsgrund zur Verordnung (EG) 259/2008.
Das auf europäischer und nationaler Ebene in vielen Bereichen anzutreffende Bemühen um Transparenz dient einer Stärkung der demokratischen Beteiligungsrechte der Bürger. Die hinter den zahlreichen diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen auf europäischer, vgl. neben den hier in Rede stehenden Vorschriften nur die Richtlinie 2003/98/EG über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors und die Richtlinie 2003/4/EG vom 28.1.2003, die Grundlage für die Neufassung des Umweltinformationsgesetzes vom 22.12.2004 war, Bundes-, vgl. nur das Informationsfreiheitsgesetz vom 5.9.2005, das Verbraucherinformationsgesetz vom 5.11.2007, das Vorstandsvergütungsoffenlegungsgesetz vom 3.8.2005 sowie die Verpflichtung zur Anzeige und Veröffentlichung der Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten in § 44a Abs. 4 Satz 1 AbgG, und Landesebene, vgl. nur die Informationsfreiheitsgesetze der Länder, stehende gemeinsame Idee wird in der Begründung des Entwurfs zum Informationsfreiheitsgesetz wie folgt zusammengefasst:
"Der Zugang zur Information und die Transparenz behördlicher Entscheidungen ist eine wichtige Voraussetzung für die effektive Wahrnehmung von Bürgerrechten. Dies gilt angesichts der wachsenden Informationsmacht des Staates heute mehr denn je. Lebendige Demokratie verlangt, dass die Bürger die Aktivitäten des Staates kritisch begleiten, sich mit ihnen auseinandersetzen und versuchen, auf sie Einfluss zu nehmen."
(BT-Drs. 15/4493, S. 6). Vgl. insoweit auch den ersten Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit zum Informationsfreiheitsgesetz (http://www.bfdi.bund.de/cln_027/nn_672634/SharedDocs/Publikationen/Taetigkeitsberichte/TB__IFG/1TB06__07,templateId= raw,property= publicationFile.pdf/1TB06_07.pdf).
Notwendige Folge dieser Bemühungen um gleichgewichtige Informationsverteilung zwischen Staat und Bürger ist, dass Informationen, an deren Geheimhaltung betroffenen Privatpersonen gelegen ist, von staatlichen Stellen an interessierte Dritte weitergegeben werden. Hierfür bedarf es teilweise - etwa im Anwendungsbereich der Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Länder sowie des Umweltinformationsgesetzes - eines besonderen Antrags. Andere Gesetze sehen vor, dass die Informationen unabhängig vom Antrag eines einzelnen Bürgers für jedermann einsehbar veröffentlicht werden. Das ist neben dem hier interessierenden Bereich etwa im Vorstandsvergütungsoffenlegungsgesetz so angelegt. Auch die Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten werden für jedermann einsehbar auf der Internetseite des Parlaments veröffentlicht.
Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung vgl. BVerfG, Urteil vom 4.7.2007 - 2 BvE 1/06 u. a. -, BVerfGE 118, 277.
Um auf europäischer Ebene eine Stärkung der demokratischen Beteiligungsrechte der Bürger erreichen zu können, kommt der Schaffung von Transparenz hinsichtlich der von der EU gezahlten Agrarsubventionen besondere Bedeutung zu. Die Förderung der Landwirtschaft ist einer der zentralen Tätigkeitsbereiche der Gemeinschaft. Der überwiegende Teil der Haushaltsmittel der EU wird für diesen Zweck verwandt. Die Höhe der insgesamt zu gewährenden Subventionen und die Kriterien für ihre Verteilung waren in der Vergangenheit immer wieder zwischen den Mitgliedstaaten umstritten und werden voraussichtlich auch Gegenstand künftiger Diskussionen innerhalb der EU sein.
Das Ziel, demokratische Beteiligungsrechte der Bürger durch Transparenz zu stärken, würde wesentlich beeinträchtigt, wenn die Veröffentlichung der gezahlten Agrarsubventionen bis zur Entscheidung des EuGH über den Vorlagebeschluss des VG Wiesbaden ausgesetzt würde. Für die Beurteilung der Folgen einer vorläufigen Aussetzung der Veröffentlichung ist nicht allein darauf abzustellen, welche Folgen es hätte, wenn der Antragsteller in dem vorliegenden Verfahren Erfolg hätte und seine Daten nicht veröffentlicht würden. Zu berücksichtigen sind auch die kumulativen Wirkungen, die eintreten würden, wenn zahlreiche Gerichte aus ähnlichen Gründen ebenfalls Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes erlassen würden.
Vgl. EuGH, Urteil vom 9.11.1995 - C-465/93 -, Slg. 1995, I-3761, Rdnr. 44.
Wenn zahlreiche Subventionszahlungen nicht zeitnah im Internet abrufbar wären, kann die Veröffentlichung ihren Zweck nicht erfüllen. Die angestrebte Transparenz kann nur dann eine Stärkung der demokratischen Beteiligungsrechte der Bürger bewirken, wenn aussagekräftige Informationen möglichst zeitnah zur Verfügung stehen. Nur solchen Informationen kommt in aktuellen politischen Diskussionen Bedeutung zu.
Dem Antragsgegner ist auch nicht aufzugeben, vorläufig durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass die den Antragsteller betreffenden Informationen nach einer Veröffentlichung im Internet nur von Personen aus dem Gebiet der EU eingesehen werden können. Insoweit fällt die vom Senat vorzunehmende Interessenabwägung ebenfalls zulasten des Antragstellers aus. Allerdings wäre den mit der Veröffentlichung verfolgten Zwecken hinreichend gedient, wenn ein Zugriff nur von Computern aus möglich wäre, die sich im Gebiet der EU befinden. So wäre sichergestellt, dass EU-Bürger die für eine demokratische Mitwirkung erforderlichen Informationen erlangen können. Der Antragsteller hat unter Bezugnahme auf den Vorlagebeschluss des VG Wiesbaden unwidersprochen dargelegt, dass eine derartige Begrenzung der Zugriffsmöglichkeit technisch machbar ist. Das Interesse des Antragstellers hieran ist jedoch gering. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass sich die für ihn mit der Veröffentlichung verbundene Belastung dadurch relevant vergrößert, dass nicht nur europa-, sondern weltweit auf die ihn betreffenden Daten zugegriffen werden kann. Im Gegenteil beruhen die Nachteile, die der Antragsteller als Folge der Veröffentlichung befürchtet, auf einem Bekanntwerden der Höhe der an ihn gezahlten Beihilfen in seinem näheren Umfeld: Er rechnet mit unsachlichen Reaktionen von Nachbarn, Bekannten und anderen ihm nahestehenden Personen. Zudem fürchtet er, Gewerbetreibende könnten die Daten zu Werbezwecken nutzen. Weil eine Beschränkung des Zugriffs auf Computer mit europäischer IP-Adresse für den Antragsteller keine erkennbaren Vorteile hätte, die Einrichtung einer solchen Zugriffsbeschränkung aber mit technischem Aufwand verbunden wäre, besteht kein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Durchführung solcher Maßnahmen.
Ende der Entscheidung
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